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Euphrat und Tigris

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Die Flüsse Euphrat und Tigris bestimmen seit Jahrtausenden das Gesicht des südlichen Irak. In ein heisses Land mit wenig Niederschlägen bringen sie Wasser. Vor 5000 Jahren nutzten die Sumerischen Königreiche den Wasserreichtum mit einem System von Kanälen, Dämmen und Bewässerungsgräben und erreichten Bodenfruchtbarkeit und eine hohe Bevölkerungsdichte.  Der Garten Eden soll es gewesen sein, mit paradiesischen Palmenhainen, Getreide- und Blumengärten.


Ausserhalb der Bewässerungssysteme gab es schon damals stehende Wasser-flächen, die verschiedenen Arten von Schilf Wachstumsmöglichkeiten boten.

Hier lebten Sumpfbewohnerinnen und Sumpfbewohner und ihre Lebensweise veränderte sich über die Jahrtausende nur wenig. Die Sumerer wurden von den Akkadern abgelöst, von den Babyloniern, Assyrern, Persern, Griechen, Arabern… Gruppen von allen diesen Völkern drangen in die Sümpfe ein und vermischten sich mit den dort Ansässigen. Die materielle Alltagskultur blieb weit gehend die gleiche, entstanden und weitergeführt im Zusammenwirken von Mensch und natürlichen Ressourcen.


Die Ma’dan oder Mi’dan lebten in Schilfhäusern, entweder auf festem Land oder auf Inseln, die sie sich mit Lehm und Schilf im flachen Wasser selber bauten. Jeder Haushalt hatte seine eigene Insel, darauf lebte die Grossfamilie mit ihrer kleinen Herde von Wasserbüffeln. Jeder Weg ausserhalb dieser Insel, zur Nachbarsfamilie,

in den Laden, zum Futter Sammeln, etc. wurde im Kanu zurückgelegt. Schon kleine Kinder kannten den Umgang mit den Booten.


Die Wasserbüffel waren die Lebensgrundlage. Ihre Milch wurde zu Joghurt und Butter verarbeitet und ihr Mist war, zusammen mit dem Schilf, Brennstoff für den Haushalt. Mit dem Überschuss der Milchprodukte und dem Erlös aus dem Verkauf von Schilfmatten wurde gekauft, was man nicht selber herstellen konnte. Einige Familien hatten Reisfelder, andere kauften den Reis. Fische, Wasservögel und Wildgemüse ergänzten die Nahrung.


Die Lebensweise war sesshaft, konnte aber auch halbnomadisch sein und vom einen zum anderen wechseln. Die Familien gehörten verschiedenen Clans und Stämmen an, die sich in einer Art informeller Dorfdemokratie selber verwalteten. In gewissen Fragen anerkannten sie die Autorität der Scheichs der benachbarten Stämme, die in festen Siedlungen auf dem Ufer wohnten.


Diese Nachbarn lebten am Rand der Sümpfe in Schilf- oder Lehmhäusern als Bauern. Auch sie ernteten Schilf und fischten. Einige Stämme hatten auch in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts noch ihre Scheichs, die allerdings der Regierung in Bagdad unterstellt waren. Es sind diese Scheichs, die die grössten und schönsten Schilfhäuser, die Mudhifs, besassen, die Gäste- und  Versammlungshäuser. Ihre familiäre und gesellschaftliche Organisation, ihre Glaubensvorstellungen etc. wichen kaum von denen der Ma’dan ab. Beide waren Schiiten und ihr Wertesystem orientierte sich ein Stück weit an dem der Beduinen der arabischen Wüste.


Beduinen gehörten ebenfalls zum sozialen System der Sümpfe, auch wenn nur jahreszeitlich. Wenn das Hochwasser nach der Schneeschmelze in den Bergen von Kurdistan zurückging wuchs zwischen Sumpf und Wüste Gras, das die Beduinen mit ihren Schaf- und Kamelherden ein paar Monate lang abweideten. Sie lebten rein  nomadisch in Zelten, bis das Regime in Bagdad ihnen die Wanderungen zwischen Syrien, Saudi Arabien und Irak verbot.


Schon seit den 1950er Jahren wurden von der Regierung Dämme gebaut um Anbaufläche zu gewinnen. In den 1970-er Jahren verstärkte sich diese Tendenz.

Der ökologische Wert des Sumpflandes, z.B. als Überwinterungsplatz von riesigen Zugvogelschwärmen aus Sibirien wurde nicht anerkannt. Die Sümpfe waren zudem ein Ärgernis für das politische Regime, denn in ihnen konnten sich Oppositionelle verstecken. Nach dem ersten Golfkrieg legte Saddam Hussein weite Teile der Sümpfe systematisch trocken: Die Ma’dan und ihre Nachbarn hatten sich gegen ihn aufgelehnt und wurden dafür bestraft. Sie verloren ihre Lebensgrundlagen und mussten in die Städte und in die benachbarten Sumpfgebiete des Iran auswandern. Inzwischen sind grössere Gebiete der entstandenen Salzwüste wieder geflutet, Schilf spriesst. Die Organisation Nature Iraq geht davon aus, dass etwa 80'000 von einigen Hunderttausend geflohenen Bewohnerinnen und Bewohnern zurückgekehrt sind. Ihr Leben wird dadurch erschwert, dass die grossen Flüsse wegen anhaltender Trockenheit zuwenig Wasser führen und vor allem, dass das Wasser verschmutzt ist. Sie können es nicht mehr aus dem Fluss schöpfen und trinken wie früher, und Fische gibt es auch kaum mehr. Sollte in der Türkei der Ilisu-Staudamm am Tigris gebaut werden, würde das die Situation zusätzlich belasten.



Izar-as-Sumawa

Gestickte Hochzeitsdecken aus dem Südirak



Die Vielfalt von Motiven, die von Schilfhäusern über Lastwagen bis

zu menschlichen Figuren reicht, ist erstaunlich. Möglicherweise ist in den Stickereien eine Formensprache erhalten, die auf ganz verschiedene kulturelle Einflüsse zurückgeht: Nach Sumerern, Babyloniern, Assyrern und anderen sollen im 8. Jh. grössere Gruppen von Zott (arabischer Name für Roma) von Indien her kommend in das damalige Kalifat eingewandert sein. Nach der Teilnahme an einer aufgedeckten  Verschwörung mussten sie sich in die Sümpfe zurückziehen und es wird davon ausgegangen, dass die Zott zahlreich genug waren, um die Kultur der Sumpfbewohnerinnen mit zu prägen. Das Sticken mit dem Häkchen könnte von den Zott aus Nordindien mitgebracht worden sein.

Im 9. Jh. gab es einen Aufstand der zahlreichen schwarzafrikanischen Zendj, die als Sklaven in die Städte gebracht wurden. Auch dieser Aufstand wurde niedergeschlagen und die Zendj fanden in den Sümpfen Zuflucht. In einzelnen Decken ist heute noch ein afrikanischer Einfluss in Form und Farbe der Motive auszumachen.


Die Decken waren vorwiegend für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Die jungen Frauen stickten ihre Hochzeitsdecke und stickten bei Bedarf weiter, etwa wenn ein Verwandter in der Stadt Arbeit suchen und das Dorf verlassen musste.

Es sind auch Decken bekannt, die für eine städtische Kundschaft bestimmt waren, etwa für Haushalte die sich keinen geknüpften Teppich leisten konnten. Diese Decken sind dichter bestickt und zurückhaltender in der Gestaltung.


Das Stickgarn wurde von den Frauen selber gesponnen und gefärbt. Wer keine Schafe besass konnte sich die Wolle in der Nachbarschaft oder auf dem Markt beschaffen. Von dort stammten auch die meisten Farben, die schon seit einigen Jahrzehnten industriell hergestellt waren. Die früher verwendeten Pflanzenfarben wurden ebenfalls zum grösseren Teil zugekauft. Färbepflanzen sind, wie Gewürze, ein sehr altes Handelsgut.


Gestickt wurde nicht mit einer Nadel sondern mit einem unten zugespitzten Häkchen. Die Stickerin hielt mit einer Hand das Stickgarn unter dem Stickgrund, mit der anderen Hand führte sie das Häkchen und holte die Garnschlingen durch den Stickgrund hoch. Diesen Wollstoff, einen sogenannten Twill, webten die Frauen nicht selber. Sie stellten zwar auf einfachen horizontalen Webstühlen kleine Teppiche und Kissen her. Den Stickgrund kauften oder tauschten sie aber auf dem lokalen Markt oder bei einem der kurdischen oder persischen Weber, die es in den Dörfern gab. Diese professionellen Weber hatten Trittwebstühle, mit denen sie die etwa 80 cm breiten Bahnen in Köperbindung weben konnten.


Nach dem Sticken wurden die 2 Bahnen zusammengenäht. Darum sind alle Decken etwa 160x220 cm gross. Einige sind länger als andere, die Breite variiert nicht gross.


Im Irak werden die Hochzeitsdecken Izar-as-Sumawa genannt. Izar heisst Decke und Sumawa ist eine Stadt im Südirak. Die Decken sind aber kein städtisches Handwerk sondern Stammeskunst.